Dienstag, 5. Mai 2009

UniBas: "Geschlechterverhältnisse heute" bei Dr. Prof. Andrea Maihofer

In dieser Vorlesung geht es darum, eine kritische Analyse der Geschlechterverhältnisse im Kontext der gegenwärtigen Transformationsprozesse zu skizzieren. Zunächst einmal sollte erläutert werden, welche Beobachtungen zu einer Notwendigkeit einer solchen Skizze geführt haben bzw., warum andere Analysen als zu wenig kritisch eingestuft werden. Bei dem Text, auf den Bezug genommen wird, handelt es sich um Andrea Maihofer: Gender in Motion. Gesellschaftliche Transformationsprozesse – Umbrüche in den Geschlechterverhältnissen? Eine Problemskizze.

Im 19. Jahrhundert, im Zuge der Industrialisierung und der boomenden Wissenschaft, war der Glaube an einen stetigen Fortschritt der Wissenschaft „zum Besseren“ weit verbreitet. Dieser Glaube implizierte die Vorstellung, durch Forschung die ganze Gesellschaft analysieren und begreifen zu können bzw. sie aktiv mit –und umgestalten zu können. Heute hingegen werden gesellschaftliche Prozesse und Entwicklungen weder transparent wahrgenommen, noch haben wir das Gefühl, in sie eingreifen zu können. Dies liegt zum einen an dem schwindenden Glauben an die Verstehbarkeit gesellschaftlicher Prozesse, an die stetige Entwicklung einer Gesellschaft zum Besseren und zum anderen liegt es an den Folgen der „Wissensgesellschaft“. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde Wissenschaft als Instrument zur rationalen, demokratischen Gestaltung der Gesellschaft gedacht. Heute zweifelt man an der Fähigkeit der Wissenschaft, soziale Probleme zu lösen. Doch in der heutigen Zeit, in der soviel Wissen wie nie zuvor produziert wird, sind die Erwartungen an die Wissenschaft enorm hoch. Doch die Überfülle an Wissen scheint eher zu Intransparenz als zu einem besseren Verständnis der Gesellschaft zu führen. Das Wissen wird spezifiziert und selten in einen globalen Zusammenhang gestellt. Dieses Fehlen gesamtgesellschaftlicher bzw. globaler Analysen scheint seltsam, ist doch gerade die Globalisierung eine Entwicklung unserer Zeit. Da liegt es doch eigentlich auf der Hand, dass auch die Gesellschaftsanalysen „globalisiert“ werden müssen, denn ohne eine Idee gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen, ist eine aktive Gestaltung der Gesellschaft nur punktuell, aber nicht strukturell möglich. D.h., ohne Einbezug der Komplexität lokaler und globaler Transformationsprozesse, kann man die heutigen Entwicklungen der Gesellschaft nicht verstehen, doch für eine erfolgreiche Intervention von Seiten der Politik oder der Gesellschaft ist dies unabdingbar. Früher ging man davon aus, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse die Möglichkeiten der einzelnen Mitglieder einer Gesellschaft zur individuellen Lebensgestaltung bestimmen. Heute spricht man zwar von einem immer grösseren Individualismusniveau und grösseren Eigenverantwortung, doch haben viele immer mehr das Gefühl, handelsunfähig bzw. abhängig zu sein und nicht in gesellschaftliche Entwicklungen eingreifen zu können. Man spricht von der Rückkehr des Subjekts trotz der Rede von ökonomischen Sachzwängen, objektiven Notwendigkeiten und politischen Realitäten, welche durch menschliches Handeln nicht strukturell verändert werden können. Boltanski und Chiapello sprechen von einem neuen Subjekt als „individueller Akteur“ und nicht mehr als „Subjekt der Geschichte“. D.h., in ein und demselben historischen Prozess finden wir Paradoxien. Einerseits bekommen die Menschen die Chance, einen individuellen Lebensplan zu gestalten, andererseits wir genau diese Lebensplanung zur Pflicht und zur Bewährungsprobe, deren Scheitern oder Gelingen in der alleinigen Verantwortung des jeweiligen Individuums liegt.

Es wird heute eine starke Tendenz zur Naturalisierung der Gesellschaft festgestellt, was eine Intervention seitens der Gesellschaft unlogisch bzw. unmöglich erscheinen lässt, denn was natürlich ist, soll und kann nicht verändert werden. Die Tendenz zur Naturalisierung der Gesellschaft ist besonders in den Gender Studies sehr brisant, weil die Naturalisierung der Geschlechter bzw. der Geschlechterverhältnisse zur Reproduktion heteronormativer und patriarchaler Geschlechterordnung führt. In aktuellen Gesellschaftstheorien wird der Wandel in den Geschlechterverhältnissen im Zuge der Frauenbewegung und der zum Teil erlangten Gleichberechtigung von Männern und Frauen oft als Beispiel für den gegenwärtigen gesellschaftlichen Wandel herangezogen. Doch trotz der illustrativen Funktion von Geschlechterverhältnissen in Theorien anderer Fächer, bleiben sie sekundär und haben trotz ihrer zentralen Bedeutung keine Konsequenzen für die jeweilige Theoriebildung. Die Tatsache, dass Geschlechterverhältnisse Indikator für diagnostizierte Prozesse sind und die Geschlechterverhältnisse sich zudem dynamisierend auf gesellschaftliche Entwicklungen auswirken, bleibt scheinbar nicht so sehr beachtet. Eigentlich besteht ein Wechselverhältnis zwischen gesellschaftlicher Entwicklung und Entwicklungen in den Geschlechterverhältnissen. Der Text Gender in Motion. Gesellschaftliche Transformationsprozesse – Umbrüche in den Geschlechterverhältnissen? Eine Problemskizze sagt erstens, dass eine Veränderung in den Geschlechterverhältnissen eine allgemein, gesellschaftliche Veränderung hervorruft und umgekehrt und zweitens, fordert der Text folglich eine produktive Verbindung von Geschlechterforschung und Gesellschaftstheorie. Die Meinungen über die Wichtigkeit aktueller Transformationsprozesse in der Geschlechtertheorie bzw. auch in der Gesellschaft gehen weit auseinander. Manche sprechen von einer Revolution, andere sagen, das hätte es schon immer gegeben. Wieder andere sprechen von einer Restaurierung traditioneller Werte in neuem Gewand oder einer neuen Form der Geschlechterdifferenz durch Naturalisierung der Unterschiede. Doch das zentrale Merkmal gegenwärtiger Entwicklungen ist die paradoxe Gleichzeitigkeit dieser Phänomene.


Zusammengefasst plädiert der Text auf die Notwendigkeit breit angelegter gesamtgesellschaftlicher Studien aufgrund der wachsenden Komplexität im Zuge der Globalisierung und der beobachteten Entwicklungen, die implizit paradox sind. Nämlich historische Prozesse und Bewegungen, die nachträglich in ihr Gegenteil umschlagen. Hier möchte ich ein Beispiel bringen. Ziele der 68-er Bewegung und auch der Frauenbewegung waren u.a. mehr Individualität und die sexuelle Befreiung der Menschen. Das Problem, das jetzt durch genau diese Individualisierung der Gesellschaft entstanden ist, habe ich weiter oben rekapituliert. Auch habe ich mich gefragt, ob Frauen in den westlich kapitalistischen Staaten nach der Frauenbewegung nicht noch mehr über ihre Sexualität definiert wurden.


In der anschliessenden Diskussion ging es vor allem um die Frage, ob unsere Generation wirklich das Gefühl hat, Gesellschaft nur punktuell, aber nicht strukturell verändern zu können. Ausser einer Person, haben dies alle aktiven TeilnehmerInnen der Diskussion bestätigt. Ich bin auch der Meinung, dass das Verständnis von Gesellschaft je globaler, desto komplexer und schwieriger wird. Klar ist für mich auch, je komplexer die gesellschaftlichen Zusammenhänge und Prozesse sind, desto weniger habe ich das Gefühl, in sie eingreifen zu können1. Eine wirkliche, gesamtgesellschaftliche Analyse müsste im Prinzip alles miteinbeziehen. Ich weiss nicht, inwiefern dies möglich ist, zumal ich auch davon überzeugt bin, dass Wissenschaft nicht objektiv ist, sondern von bestimmten Grundannahmen ausgeht, die vielleicht zu hinterfragen wären. Gerade die Gender Studies scheinen mir in dieser Hinsicht fortschrittlich vorzugehen. Denn gerade die Nichthinterfragung von Geschlechterkonzepten in anderen Fächern ist ein Beispiel für zu hinterfragende Grundannahmen.


Doch selbst wenn eine gesamtgesellschaftliche Analyse, die der heutigen, globalen Gesellschaft gerecht wird, realisiert wird, wird Wissen trotzdem nicht objektiv wahr. Denn trotz aller Bemühungen kann meiner Meinung nach nie alles, was Gesellschaft formt und verändert, erfasst und begriffen werden. Auf diese Nichteinsicht in die menschlichen Grenzen, nicht alles systematisieren und objektiv analysieren zu können, bezieht sich meine Kritik. Und gerade darin sehe ich auch die grösste Hürde, eine solch gesamtgesellschaftliche Analyse so wenig subjektiv wie möglich zu halten. Denn "objektives Wissen" zu erlangen, scheint ja trotz aller Kritik an universalisierendem Wissen seitens der Gender Studies das allgemeine Ziel von Wissenschaft zu sein. Denn eine totalitär subjektivistische Theorieperspektive wäre zu komplex (es gäbe keine Kategorien mehr...endlich sind die Terroristen weg....) für einen Bevölkerungskontrollenapparat...

1 Ist ja irgendwie auch kein Wunder mit den an einigen Universitäten populären, postmodernen Theorien, dekonstruktiven Charakters.

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