Dienstag, 5. Mai 2009

UniBas: "Männlichkeitsforschung" bei Dr. Prof. Andrea Maihofer

In der heutigen Vorlesung vom 23. September 2008 geht es um die Historizität von Männlichkeit. In einem ersten Teil sollen grundlegende Erkenntnisse der Männerforschung repetiert und an illustrativen Beispielen erläutert werden. In einem zweiten Schritt geht es darum, die bürgerliche Männlichkeit in Abgrenzung zu Männerbildern vor dem 18. Jahrhundert zu betrachten, um somit die Historizität von Männlichkeit zu unterstreichen. Es soll darauf eingegangen werden, wie es zur Entstehung eines vollkommen neuen Männerbildes gekommen ist und mit welchen anderen gesellschaftlichen Prozessen dies einhergeht. Gegen Ende der Vorlesung wird das heutige Männerbild anhand von aktuellen Beispielen aus der Werbung analysiert, wobei sich ein gewisser Wandel, wie auch persistente Elemente im aktuellen Männerbild feststellen lassen.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Männlichkeitsforschung besteht in der Einsicht, dass unsere Vorstellung von Männlichkeit kein Ausdruck eines biologischen Geschlechtes ist, sondern ein kulturell, sozial und historisch hergestelltes Phänomen darstellt. Da Männlichkeit also kein Ausdruck des biologischen Geschlechts ist, könnte sie auch anders definiert werden bzw. ist die Vorstellung von Männlichkeit wandelbar. Unsere Definition von Männlichkeit ist somit das Ergebnis gesellschaftlicher, historischer und individueller Konstruktionsprozesse. Durch historische Analysen wird deutlich, dass sich die (heutige) Vorstellung von Männlichkeit im Zuge der bürgerlichen Aufklärung, der Industrialisierung bzw. der kapitalistischen Produktionsweise im 18. Jahrhundert etabliert. Diese Entwicklungen gehen einher mit gesellschaftlichen Prozessen, die zu Veränderungen in Rechtstexten, politischen Bereichen und im Diskurs über Männlichkeit führen.

Mit der bürgerlichen Aufklärung im 18. Jahrhundert wird die theologische Weltvorstellung durch eine rationale Weltanschauung abgelöst. Gesellschaftliches wird nicht mehr durch Gott, sondern durch das Handeln und Denken von den Menschen (den Männern…) selbst begründet. Kennzeichnend für die bürgerliche Aufklärung ist somit die strikte Trennung von Glauben und Wissen. Fortan soll alles (natur-) wissenschaftlich beweisbar sein. Dieses Wissen soll universell gültig sein und die Grundlage für Regeln und Normen einer Gesellschaft bilden. In dieser Zeit entsteht eine neue Vorstellung von Männlichkeit: die bürgerliche Männlichkeit. Diese definiert sich in Abgrenzung zu bäuerlichen, proletarischen und feudalen Männerbildern. Auch grenzt sich das bürgerliche Geschlechterbild von Frauen ab, die nicht bürgerlich sind. Die Mutterliebe wird erfunden und bildet den zentralen Unterschied zwischen einer bürgerlichen und einer nicht-bürgerlichen Frau. Unterschiedliche Fähigkeiten oder Unfähigkeiten von Männern und Frauen werden biologisch bzw. „wissenschaftlich“ begründet.

An einigen Gemälden aus der Zeit vor dem 18. Jahrhundert soll das Bild von Männlichkeit vor der bürgerlichen Aufklärung skizziert werden. Alle gezeigten Bilder stammen aus dem 14., 15., 16. und 17. Jahrhundert. Auf den meisten Gemälden fällt es uns schwer, überhaupt zu erkennen, dass es sich um männliche Modelle handelt. Die Jungs tragen Röcke, Federboas, Lackschuhe mit Absätzen, Rüschen und Spitzen besetzen ihre Kragen und Gewänder. Viele der Männer sind eher pummelig, keine Spur von vermeintlich männlichen, markanten Gesichtszügen. Die Bilder wirken aus heutiger Sicht völlig untypisch und für Männlichkeit uncharakteristisch. Heute würde man diese Männer als absolut feminine Männer bezeichnen. Der bürgerliche Mann hingegen interessiert sich nicht mehr für Mode, es gibt schliesslich wichtigere Dinge. Wissenschaft, Kultur und Politik sind die Aufgaben der bürgerlichen Männer.

Historisch kann man feststellen, dass sich das Männerbild mit der bürgerlichen Aufklärung verändert, wobei ein Rückgriff auf das Männerbild in der griechischen Antike eindeutig scheint. Der bürgerliche Mann diszipliniert seinen Körper und hat ihn fest im Griff. Er zeichnet sich durch Autonomie, Selbstdisziplin und Selbstbeherrschung aus. Fortan sind Menschen (Männer…) für ihr Handeln selbst verantwortlich und sind in diesem Sinne auch schuldfähig. Autonomie bedeutet wörtlich übersetzt „selbst Gesetz geben“. Kant sagt, bestimme deinen Willen so, dass es auch ein allgemeines Gesetz sein könnte. Die Männer sind fortan autonome Subjekte, die für ihr Handeln selbst verantwortlich sind und sich disziplinieren. Subjekt sein heisst eigentlich, sich einer allgemeinen Norm zu unterwerfen. Diese Normen können sich z.B. auf den Körper oder die Sexualität beziehen. Die Männer sollen ihren eigenen Körper und ihre eigene Sexualität beHERRschen.
Mit der bürgerlichen Aufklärung entwickeln sich auch der Sport, die Jagd (als Freizeitbeschäftigung für Männer) und die Wehrpflicht. Ab dem 19. Jahrhundert wird in den meisten westlich kapitalistischen Staaten die allgemeine Militärpflicht eingeführt. Männlichkeit definiert sich fortan über Fitness, Sport, Militär/Krieg und das Berufsleben. Die Männer sind berufstätig, die Frauen bleiben Zuhause. Man spricht von der Einschliessung der Männer in das öffentliche und der Einschliessung der Frauen in das private Leben. Vor der bürgerlichen Aufklärung waren Privilegien wie z.B. ein Studium zu absolvieren von der ständischen Zugehörigkeit, nicht aber in erster Linie vom Geschlecht abhängig. Im 18. Jahrhundert entsteht der westliche, bürgerliche Geschlechterdiskurs, der zu einer bürgerlichen, hierarchischen, patriarchalen Geschlechterordnung führt. Diese Entwicklung ist aufs Engste mit der Entwicklung der Rassentheorien und des Rassismus verbunden. Die Geschlechterordnung wird nicht mehr durch Religion oder Gott begründet, sondern durch die Biologie. Entsprechend gibt es auch Rassentheorien, die automatisch von der Biologie auf bestimmte Fähig- oder Unfähigkeiten anderer Rassen schliessen. Nach Robert Knox ist einer der Vertreter solcher Rassentheorien. So herrscht nun die Vorstellung, dass biologische Gegebenheiten die psychische Konstitution, die Intelligenz und Eigenschaften/Charakterzüge der Menschen bestimmen. Fazit: Nur der westliche, kapitalistische, bürgerliche, weisse, heterosexuelle Mann ist wirklich ein Mann und daher des Lebens würdig. Durch die Biologie werden somit auch die Position und die Stellung einer Person in der Gesellschaft bestimmt. Diese Entwicklungen führen zur Etablierung einer binären, hierarchischen Opposition bzw. einer Differenzierung zwischen Männern und Frauen, Weissen und Schwarzen. Der bürgerliche, weisse Mann ist der Massstab, das Subjekt, der Aktive, der rational Denkende und der Erzeuger von Kultur, Wissenschaft und Kunst. Die Frauen werden als Abweichung des männlichen Massstabes konstruiert, sie sind somit passive, emotionale, empfangende Objekte. Und dies von Natur aus. Während den Frauen die Familie und die Liebe von Natur aus heilig sind, müssen die Männer, um richtige Männer zu sein, in den Krieg ziehen, mathematisch begabt, gross und stark sein. In der gleichen Zeit entstehen auch die Märchen der Gebrüder Grimm, auf deren Geschlechterbilder wohl nicht näher eingegangen werden muss. Prinz und Prinzessin. Retter und Opfer…Dornröschen, Rapunzel, Schneewittchen…

Nun soll an einigen aktuellen Beispielen das gegenwärtige Männerbild skizziert werden. Allgemein kann man sagen, dass in den neuen Männerbildern gewisse Dinge aus dem bürgerlichen „Männlichkeitspaket“ nicht mehr vorhanden sein müssen, jedoch gibt es auch Dinge, die gleich geblieben sind. Vor zehn Jahren wäre es undenkbar gewesen, einen sich schminkenden Mann in der Werbung zu zeigen. Heute ist das schon eher möglich. Auch gibt es immer mehr Hygieneprodukte und Schönheitsartikel für Männer, dies wäre in der Tradition des bürgerlichen Männerbildes nicht möglich gewesen. Einerseits sieht man in der Werbung zwar immer muskulöse Männer mit durchtrainierten Fitnesskörpern (auch ein Rückgriff auf die griechische Antike), jedoch oft in Verbindung mit Hygiene- und Schönheitsartikeln. Männer rasieren sich, benutzen wieder Parfums. Es ist ein Spiel mit „femininen“ Elementen, welches die Männer aber dennoch nicht ihre Männlichkeit verlieren lässt. In diesem Sinne haben wir es mit einer neuen Art von Männlichkeit zu tun. Ein bezeichnendes Bild fand ich das Bild der argentinischen Fussballer, denen nachträglich ein Handtäschchen in die Finger montiert wurde. Denn dieses Bild zeigt doch auch auf, dass dem Wandel im Männerbild noch immer Grenzen gesetzt werden. Ich finde schon auch, dass es neue Männer- und Frauenbilder gibt, es ist nicht mehr (nur) das klassische, bürgerliche Mann-Frau-Bild. Dennoch denke ich, dass die meisten feminisierten Männer in der Werbung von der Gesellschaft trotzdem nicht als Männer, sondern eben als feminine Männer bzw. auch als Homosexuelle wahrgenommen werden. Natürlich, früher wäre dies niemals möglich gewesen, dennoch werden meiner Meinung nach Homosexuelle oder feminine Männer als Abweichung „richtiger“ Männlichkeit konstruiert, es werden nur gesellschaftlich auch andere Formen toleriert. Ich denke nicht, dass die Kapitalisten offener geworden sind für neue Geschlechterbilder, weil sie irgendetwas eingesehen haben. Meiner Meinung nach ist in den letzten Jahren einfach entdeckt worden, dass man durch das Anbieten von Schönheits- und Hygieneartikeln für Männer eine Menge Geld verdienen kann…

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