Dienstag, 5. Mai 2009

Michel Foucault, Diskurs, Macht und Disziplinierung

Tod des Autors
Foucault sagt: Biografie des Autors ist nicht der Schlüssel zum Verständnis seines Werkes. „Wen kümmert’s, wer spricht?“  Es geht nicht darum, was der Autor sagt (seine Absichten und Gedanken), sondern darum, wie der Diskurs auch ohne den Autor und dessen Absichten erklärt werden kann. Die Einheit des Werkes ist nicht durch die Einheit des Autors gegeben. In diesem Sinne funktioniert der Name des Autors als Schaffung von Einheiten in einem Diskurs. Foucault versteht sich selbst nicht als ein Theoretiker, sondern seine Arbeiten bezeichnet er als Analytik von Macht und Wissen.
Diskurs. Def: (Wikipedia)
Foucault meint mit Diskurs das in der Sprache aufscheinende Verständnis von Wirklichkeit einer jeweiligen Epoche. Die Regeln des Diskurses definieren für einen bestimmten Zusammenhang, oder ein bestimmtes Wissensgebiet, was sagbar ist, was gesagt werden soll, was nicht gesagt werden darf, und von wem es wann in welcher Form gesagt werden darf (z.B. nur in Form einer wissenschaftlichen Aussage). Die so genannte "diskursive Praxis" setzt sich zusammen aus sprachlichen Aspekten (dem Diskurs) und nichtsprachlichen Aspekten (z.B. Institutionen oder Architektur).
Beispiel: Der Begriff "Ausländerflut" ist eine Konstante im "Immigrations-Diskurs" in Deutschland, ein Begriff, der impliziert, Immigranten träten in "Fluten" und damit z. B. als Naturphänomen und Naturkatastrophe auf. In der Analyse des Diskurses zeigt sich, in welcher Weise wir über die Welt nachdenken – in diesem Fall über das als Immigration problematisierte Phänomen der Überschreitung von Grenzen. Wenn Einwanderung häufig in Verbindung mit Flut in unserem Denken und Reden auftaucht, so beeinflusst das unser Denken und Verhalten.
In diesem Zusammenhang heißt dann "Diskurs" nicht mehr nur "Diskussion", sondern eher so etwas wie "sprachlich produzierter Sinnzusammenhang, der eine bestimmte Vorstellung forciert, die wiederum bestimmte Machtstrukturen und Interessen gleichzeitig zur Grundlage hat und erzeugt".
Macht – Wissen – Subjekt – Schema
Macht  Subjekt: Herstellung von Subjekten durch bestimmte Machtverhältnisse (Unser Konzept von Subjekt wird nicht als etwas schon Gegebenes verstanden, sondern als etwas, was erst ab dem 18. Jahrhundert mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft aufkommt.)
Wissen  Subjekt: Durch unterschiedliche Diskurse (aus (natur)wissenschaftlichen Bereichen, wie auch in den Humanwissenschaften) wird Wissen bzw. Wahrheiten über Subjekte produziert.
Wissen  Macht: Wie wird Wissen (inner- und ausserhalb der Wissenschaft) für Machttechniken verwendet?

Politik der Wahrheit
Foucault entwirft keine allgemeine Gesellschaftstheorie, vielmehr analysiert er Diskurse in Bezug auf ihre Wahrheitsproduktion (nach Foucault wird Wahrheit hergestellt und nicht erkannt). Der Kriminalitätsdiskurs z.B. bringt erstens hervor, was heute (also in unserer gesellschaftlichen, kulturellen und historischen Situation) den Kriminellen ausmacht und zweitens, was davon abweicht bzw. die Norm. Wahrheit wird produziert und dann in verschiedensten Bereichen instrumentalisiert, z.B. in der Politik.

Fragestellungen
Foucault untersucht die Herstellungen eines Raums des Sag-, Denk- und Sichtbaren. Er fragt,
(1)Wie wird etwas zum Objekt eines Diskurses? (Objektivierung)
(2)Wie wird ein Subjekt zum Objekt eines Diskurses? (Subjektivierung)  Wir entsteht z.B. ein Diskurs über die Position des Arztes oder des Patienten.
(3)Wie wird ein Subjekt zum Objekt seines Selbst?  Wie kontrolliert und steuern sich Subjekte selbst?

Archäologie des Wissens: Diskurse:
Foucault schlägt hier einen neuen Weg ein. Er möchte den Raum als einen Gegenstand der Geschichte analysieren. Da es über den Raum aber keine Dokumente gibt wie dies z.B. bei Schlachten und Kriegen der Fall ist, ist der Raum kein Gegenstand für den Historiker, sondern für den Archäologen, der sich eine bestimmte Räumlichkeit aus den Überresten erschliesst. Damit sind nicht Ruinen, o.ä. gemeint, Raum meint hier z.B. Gefängnis- oder Schulreglemente, Theorien über Kriminelle bzw. Schüler oder Architektur. Durch die Erweiterung des Raumbegriffs ist es möglich, Machtverhältnisse in einen bestimmten Raum zu rekonstruieren. So können auch Machtstrukturen analysiert werden, also Gesetzeserlass, -anwendung oder Vorschriften zur Lebensführung. Nicht aber um dadurch nachzuvollziehen, wie die Menschen in einer bestimmten Zeit gelebt haben, sondern, wie die Struktur ihrer Handlungsfelder aufgebaut war.

Diskurse sind nicht auf Sprache reduzierbar, Diskurse beeinflussen bzw. steuern unseren Blick auf etwas. Z.B. verändert sich der Blick des Arztes auf seinen Patienten je nach Art des Diskurses über Ärzte und/oder Patienten.
Diskurse dienen nicht der normativen Begründung von Theorie
Regelmässigkeiten im Diskurs vs. Regeln
Subjektpositionen (Arzt, Patient…)
Objektformation (Kriminalität, Gesundheit…)
 „An sich“ hat nichts eine Bedeutung, die Diskurse produzieren die Bedeutung.
- Monument vs. Dokument (ist oben unter Archäologie des Raumes schon erklärt, Monument würde ich im Gegensatz zu Dokument als etwas Gegenständliches verstehen, was nicht erst aus verschiedenen „Indizien“ rekonstruiert werden muss wie z.B. der Raum in foucaultischem Sinn (Dokument). Versteht ihr das auch so?

Geneaologie: Analytik der Macht
Ziel: „Akzeptabilitätsbedingungen eines Systems herausarbeiten und Bruchlinien seines Auftretens verfolgen.“ (Foucault, Subversion des Wissens, S.35)
Akzeptabilitätsbedingungen meint in diesem Zusammenhang, dass das in Diskursen erzeugte Wissen darum bemüht ist, angenommen bzw. akzeptiert zu werden. Foucault steht dem Begriff der Entwicklung in der Diskursthematik kritisch gegenüber, er versteht in diesem Sinne Entwicklung nicht als etwas Kontinuierliches bzw. als eine Fortsetzung, sondern die Entwicklung bestimmter Diskurse ist durch historische Brüche analysierbar.

Historische Analyse von Kräfteverhältnissen: Analyse von Veränderungen in den Diskursen durch soziale Kämpfe um Definitionen.
Kritik kausaler Erklärungen > Möglichkeitsbedingungen: Foucault untersucht nicht, die Gründe für bestimmte Diskurse, sondern wie es möglich ist, dass auf eine bestimmte Art über etwas gedacht wird.
Sichtbarmachen von Heterogenität: „Wesen (ist) Stück für Stück aus Figuren, die ihm fremd waren, aufgebaut worden.“ (ebd., S.71)  Diskurse sind nicht homogen!
Mikrokämpfe bezeichnen Kämpfe um beispielsweise Erneuerungen oder Beibehaltung von z.B. Schul- oder Haftreglementen.

Macht
Mikromacht vs. Souveräne Macht
Eine souveräne Macht bezeichnet einen Inhaber der Macht, beispielsweise einen König, Diktatoren oder den Staat. Eine Gegenmacht innerhalb der souveränen Macht würde Bürgerkrieg bedeuten.
Die Mikro-Macht ist als ein Netzwerk über ein Gebiet zu verstehen, eine Art der Organisation, die nicht an einer Institution oder einem Souverän festzumachen ist (=dezentral).
Die Mikro-Macht ist als eine Entwicklung zu verstehen und nicht als etwas Intentionales, was von jemandem explizit initiiert wurde (=nicht-intentional)
Subjektivierung meint hier die Herstellung von produktiven Subjekten, die sich selbst gemäss der Norm steuern und kontrollieren. Hier wird die Doppellogik des Subjekts sichtbar: Es ist immer ein sich unterwerfendes Individuum und gleichzeitig eines, das handlungsfähig ist. Die Mikro-Macht ist produktiv, nicht repressiv.
Mikro-Macht ist normalisierend und normierend durch gewisse Normalisierungs-techniken (z.B. Statistik, Durchschnittswert=Normalität)
Materialität von Macht: Mit diesem Begriff soll darauf hingewiesen werden, dass Macht sich auch materiell manifestiert z.B. in Form von Architektur (denke an Panopticon), einer bestimmten Anordnung von Körpern in Institutionen wie Schule, Gefängnis usw.
Verbindung von Macht und Wissen (=Macht-Wissens-Nexus): Bsp: Wir haben Prüfungen an der Uni. Unsere Ergebnisse sind Daten anhand derer ein Durschnitts-notenwert erzeugt werden kann (z.B. für eine Analyse der Leistungen an der Uni Basel)  aus den Ergebnissen können neue Machttechniken entstehen z.B. zur Optimierung der Leistungen an Prüfungen. In foucaultischem Sinne ist kein Wissen unschuldig.

Machttypen
I. Disziplinarmacht (Überwachen und Strafen)
öffentliches Spektakel vs. Verborgene Mechanismen: Ein öffentliches Folterspektakel wäre Ausdruck einer nur souveränen Machtform, der Sinn des Spektakels liegt in der Rache und der Abschreckung. Die Disziplinarmacht ist perfider, weil sie dezentral ist und die Reglemente unscheinbar sind. Denn das Ziel der Strafe ist nicht Rache, sondern die Selbstdisziplin und Selbstkontrolle der Insassen bzw. ihre Resozialisation.
Brutaler Körperbezug vs. Subtiler Körperbezug: Das Folterspektakel dient der Rache (brutal), der subtile Körperbezug der Disziplinarmacht meint, dass z.B. Gefängnisreglemente die Zeit (=Tagesablauf) und die Körper reguliert, um die Effizienz und Produktivität der Individuen zu steigern.
- Normalisierung meint die Entwicklung von Vergleichstechniken (z.B. Statistik) die eine Norm herstellen, an der man sich dann orientiert.

Materialität von Macht (Beispiel Panopticon) u. Machteffekte des Panopticons
Dezentrale Verteilung der Macht: Das Zentrum der Macht ist nicht auf ein bestimmtes Subjekt geschrieben. In der Mitte steht ein Überwachungsturm, Gefängniszellen sind um diesen herum angeordnet. Die Macht liegt in der Architektur des Panopticons.
Permanenz: Der Turm ist immer da, die Gefangenen fühlen sich permanent beobachtet. Jede Zelle ist vom Turm aus zu beobachten, die Insassen sehen aber nicht in den Turm hinein bzw. sehen sie nicht, ob jemand drin ist oder nicht.  Insassen müssen davon ausgehen, dass immer jemand im Turm ist, d.h.,  Insassen halten sich an die Regeln in dem sie den Blick des Überwachers internalisieren und anfangen, sich selbst zu kontrollieren  Der Gefangene unterwirft sich dem Reglement und wird zum handlungsfähigen Subjekt.  Es entstehen Subjekte, die sich selbst überwachen. In diesem Sinne ist hier der Turm die Macht, wer darin sitzt oder nicht spielt keine Rolle.
Sichtbarkeit: Durch diese Machttechnik wird der Gefangene sichtbar gemacht, der Überwacher unsichtbar. Weitere Formen der Individuumsherstellung wären z.B. ein Geständnis oder ein Gespräch mit dem Gerichtspsychiater.
Die Anordnung der Zellen trennt die Gefangenen, kein Kontakt.

II. Gouvernementalität
Der Gegenstand der Gouvernementalität ist die Population/Bevölkerung. Durch diese Machtform ist es möglich, eine Bevölkerung zu kontrollieren und zu regulieren. Durch Marktforschung (politische Ökonomie) oder Statistik z.B., können Durchschnittwerte erzeugt werden, aus welchen die Norm hervorgeht.
Es geht darum, die Bevölkerung zu schützen bzw. die Wohlfahrt zu steigern. Diese Macht verspricht Sicherheit, gleichzeitig impliziert sie neue Machttechniken. Foucault beschreibt Gouvernementalität wie folgt: „Das Ensemble, das von den Institutionen, Verfahren, Analysen und Reflexionen, Kalkülen und Taktiken gebildet wird, die es erlauben, diese sehr spezifische und zugleich sehr komplexe Form der Macht auszuüben, die die Bevölkerung als Zielscheibe hat, als hauptsächliche Form des Wissens die politische Ökonomie und als wesentliche technische Instrumente die Dispositive der Sicherheit.“ (Foucault, Governmentality, S.102f.,Herv. US)
Ein Dispositiv im foucaultischen Sinn meint das Zusammenwirken verschiedener diskursiver Praktiken. Beispiel Sicherheitsdispositiv: Das Zusammenwirken diskursiver Praktiken zum Thema Hygiene zum Schutz der Bevölkerung gegen z.B. Krankheit. Ein zweites Beispiel wäre Zwangsimpfung an Schulen. Terrordispositiv: Die diskursiven Praktiken zum Thema Terror (mit Ziel der Sicherung der Gesellschaft) beeinflussen die Haltung gegenüber Terror und Terroristen. Sexualdispositiv: Bindeglied zwischen Disziplinierung und Gouvernementalität. Durch die Herstellung von allgemeinem Wissen über Sex (durch Disziplinierungsformen) entstehen Regeln für Sex, Normalitätsvorstellungen und somit Wahrheiten über Sex.

Regierung der Regierung: Meint in diesem Zusammenhang eine Anleitung zur Selbstkontrolle. Der Neoliberalismus ist für Foucault die typischste Form von Subjektherstellung (diese Subjekte regieren/kontrollieren sich dann selbst „Unternehmer seiner Selbst“)

Widerstand gegen Theorie?
Analytik des Wissens: Foucault ist ein Skeptiker von grossen Theorien, er ist kein Theoretiker, sondern ein Analytiker von Wissen und Macht.
Begriffliche Interventionen („der maskierte Philosoph“): Wortschöpfung als Intervention in bestimmtem Diskurs.
Verzicht auf theoretische Systeme: Foucault fügt seine Analytik in kein grösseres, theoretisches System.

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