Dienstag, 5. Mai 2009

UniBas: "Männlichkeitsforschung" bei Dr. Prof. Andrea Maihofer

In der ersten Vorlesung der Veranstaltung „Männlichkeitsforschung“ am 16. September 2008 geht es darum, die Entstehung der Männlichkeitsforschung/Männerforschung zu skizzieren und einige grundlegende Einsichten zu formulieren, die zur Notwendigkeit einer solchen Männerforschung (neben der Frauenforschung) geführt haben. Zunächst soll auf die Entstehung der Frauenforschung Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts eingegangen werden, im Zuge derer in den 80er Jahren die Männerforschung entsteht.

Zur Entstehung der Frauenforschung

In den 60er Jahren sind Frauen in der Gesellschaft und in der Wissenschaft gegenüber den Männern noch immer benachteiligt. Noch immer wird den Frauen ein Platz in der Familie und den Männern ein Platz in der Arbeitswelt zugewiesen. In der Wissenschaft dominieren die Männer, was dazu führt, dass über den Alltag, das Handeln oder das Leben von Frauen in der Geschichte relativ wenig bekannt ist bzw. erforscht wurde. Die Geschichtsbücher schweigen sich über die Frauen aus. Es scheint, als hätte es in der Menschheitsgeschichte fast gar keine Künstlerinnen, Schriftstellerinnen oder Musikerinnen gegeben. Der Blick der Wissenschaften, insbesondere der Geschichtswissenschaften, ist eindeutig männlich.
Durch die fortwährende Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und durch die daraus resultierende Diskriminierung von Frauen, kommt es Ende der 60er Jahre zur Frauenbewegung, welche den Weg für die Frauenforschung ebnet. Zunächst ist die Frauenforschung eine Forschung von Frauen, über Frauen, für Frauen. Ziel war es, die patriarchale Gesellschaftsstruktur offen zu legen, um die Diskriminierung von Frauen deutlich zu machen und Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern einzufordern. Historisch ist die Frauenforschung die erste Forschung, welche sich „Geschlecht“ zu ihrem Forschungsgegenstand macht. Ein kleiner Schritt mit grossen Folgen.

Zur Entstehung der Geschlechterverhältnisforschung

In den 80er Jahren entsteht aus der Frauenforschung heraus die Geschlechter-verhältnisforschung. Obwohl diese Forschung noch immer ausschliesslich von Frauen betrieben wird, verändert sich jedoch die Perspektive. Thema sind nun nicht mehr „nur“ die Frauen, sondern die Geschlechterverhältnisse, bzw. die unterschiedlichen Lebensarten und Alltagspraxen von Männern und Frauen. Z.B. wurde in der Geschlechterverhältnisforschung aufgezeigt, dass Frauen und Männer im Mittelalter zwar beide hart arbeiten mussten, den Frauen im Gegensatz zu den Männern aber keine Freizeit zugesprochen wurde. Die Männer sassen nach der Arbeit noch in der Kneipe oder waren politisch aktiv, während die Frauen noch immer schufteten.

Zur Entstehung der Männlichkeitsforschung

Ende der 80er Jahre entsteht auch die Männerforschung. Natürlich handelt es sich dabei zunächst um eine Forschung von Männern, über Männer, für Männer. Ausgangspunkt ist aber nicht wie bei der Entstehung der Frauenforschung die Diskriminierung durch das andere Geschlecht, sondern die zunehmend problematische, von der Gesellschaft aufgezwungene Rolle von Männern. Männlichkeit wird in diesem Sinne als das Ergebnis eines bestimmten Disziplinierungprozesses verstanden. Es geht um die kritische Reflexion des herrschenden Männlichkeitsdiskurses, auch im Zusammenhang mit einer offensichtlichen, wie auch latenten Homophobie in der Gesellschaft. Denn so wie der Weiblichkeitsdiskurs, als auch der Männlichkeitsdiskurs sind eindeutig heteronormativ.
Dennoch bleibt die Männer- oder Männlichkeitsforschung zunächst von der Geschlechterver-
hältnisforschung unbeachtet.

Zur Entstehung der Geschlechterforschung

In den 90er Jahren entsteht in einem weiteren Schritt die Geschlechterforschung, welche nun beide Geschlechterperspektiven in ihre Forschung integriert und somit Geschlecht und Geschlechtlichkeit an sich zu ihrem Forschungsgegenstand macht. Beginnt die Dekonstruktion von Geschlecht erst mit der Entstehung der Gender Studies in den 90er Jahren? Ich finde dies einen wichtigen Schritt, es bleibt für mich aber die Frage, ob nicht alle Blicke auf ein bestimmtes Thema sozialisierte, disziplinierte Blicke sind…

Wichtige Erkenntnisse der Männerforschung

Die erste, wichtige Erkenntnis der Männerforschung ist, dass es angesichts der jahrelangen Dominanz der Männer in allen Bereichen der Wissenschaften, erstaunt, dass fast kein Wissen über das Denken, Fühlen und Handeln von Männern produziert worden ist. Dies führt zu einem Mangel an Wissen über Männer, Männlichkeit und Männerleben. Doch um welches „Wissen“ handelt es sich hier? Geht es darum herauszufinden, welche Männlichkeitsdefinitionen herrschend waren und somit den Inhalt von „Männlichkeit“ bestimmten, oder darum, wie Männer gedacht, gefühlt und gelebt haben? Sind diese beiden Fragen überhaupt voneinander trennbar?
Eine weitere, wichtige Erkenntnis der Männlichkeitsforschung besteht in der Einsicht, dass mit der häufigen Gleichsetzung von Mann und Mensch nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer hinter dieser Gleichung verschwinden. Wenn dem so ist, warum hat man dann das Ganze nicht „rückübersetzt“, in dem man davon ausging, dass mit dem was über den Menschen geschrieben worden war, eigentlich die Männer gemeint waren?
Eine dritte, zentrale Erkenntnis der Männerforschung ist die Einsicht, dass nicht nur Frauen, sondern auch gewisse Männer durch ein patriarchales Gesellschaftssystem diskriminiert werden. Das Patriarchat richtet sich genauso gegen Männer anderer Schichten und Ethnien, was zu einer Hierarchisierung unter den Männern selbst führt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Homophobie. Connell spricht in diesem Zusammenhang von „hegemonialer Männlichkeit“. Mit „richtigen Männern“ sind vor allem die bürgerlichen Männer gemeint, nicht aber Homosexuelle, Feudale, Proletarier oder Bauern, gegen die sich das ab dem 18. Jahrhundert entstandene, bürgerliche Männlichkeitsbild richtet.
Eine letzte, grundlegende Erkenntnis der Männerforschung ist, dass auch Männer ein Geschlecht haben. Auch Männer haben die Aufgabe, zu Männern zu werden. Sie sind also, genau wie die Frauen, Sozialisations- und Disziplinierungsprozessen unterworfen. Anders als die Frauen, müssen die Männer ihre Männlichkeit täglich aufs Neue erschaffen und unter Beweis stellen, ansonsten droht ihnen der Verlust ihrer Männlichkeit und somit ihr gesellschaftlicher Untergang. Die Männerforschung erkennt, dass auch Männlichkeit ein soziales, kulturelles und soziales Phänomen ist, dessen Definition von den herrschenden Diskursen über Männlichkeit abhängt. In diesem Sinne ist Männlichkeit natürlich kein Ausdruck eines biologischen Geschlechts, sondern ein Produkt des herrschenden Diskurses über Männlichkeit.

Aktuelle Themen der Männerforschung sind Probleme von Männern aufgrund ihrer Sozialisation. Das Risikoverhalten von Männern im Strassenverkehr oder Probleme mit Gewalt unter Männern an Schulen werden nicht mehr auf die Biologie, sondern auf die Sozialisation zurückgeführt. Das frühere Ableben der Männer im Gegensatz zu den Frauen, wird auf Stress im Beruf und nicht auf ihre biologischen Voraussetzungen zurückgeführt.
Zurzeit ist eine Verunsicherung bezüglich der Definition von Männlichkeit festzustellen und immer mehr Männer haben innere Widersprüche, da sie sich als Männer eigentlich für ihre Familie und deren Unterhalt per Definition (von Mannsein) verantwortlich fühlen, sich gleichzeitig aber mehr Zeit für die Partnerin und die Kinder nehmen wollen.

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